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Mädchen, Frauen und Sucht

Der Konsum von psychoaktiven Substanzen, die zugrunde liegenden Ursachen und Motive, Konsummuster, Einstiegs- und Ausstiegswege sowie die Verläufe, die psychosozialen und gesundheitlichen Risiken und Folgen des Substanzkonsums unterscheiden sich bei Mädchen und Jungen, Frauen und Männern. Forschung und Praxis belegen eine Fülle von Erkenntnissen, die Unterschiede zwischen den Geschlechtern – neben den Unterschieden in den jeweiligen Geschlechtergruppen - aufzeigen.

Dabei sind es, abgesehen von den biologischen Faktoren (Sex), insbesondere die durch Geschlechterrollen und -zuschreibungen, Rollenerwartungen und Geschlechtsidentität geprägten Lebenssituationen, Erfahrungen und Einstellungen (Gender), die den Entwicklungsverlauf des Substanzkonsums und einer Suchterkrankung maßgeblich beeinflussen.

Mit dem Anspruch, Hilfen und Unterstützung für Menschen mit problematischem Substanzkonsum oder einer Abhängigkeitserkrankung passgenau und zielgerichtet zu leisten, ist nicht nur das Wissen um die geschlechtsbezogenen Einflussfaktoren von zentraler Bedeutung, sondern auch der Einbezug dieses Wissens in die Ausgestaltung von Konzepten und deren methodischer Umsetzung.

Die heutige Auseinandersetzung mit geschlechtsbezogenen Faktoren muss in einer stetigen Weiterentwicklung die Vielfalt sexueller und geschlechtlicher Identitäten einbeziehen. Hier steht die Suchthilfe insgesamt noch am Anfang der Reflexion.

Auslöser für eine Auseinandersetzung mit Geschlechterfragen in der Suchthilfe war in den 1980er Jahren des letzten Jahrhunderts zunächst die Situation von Frauen in stationären therapeutischen Einrichtungen sowie in den ambulanten Drogenberatungsstellen. Unterschiedliche Lebenserfahrungen der Betroffenen, die unmittelbar mit der jeweiligen Geschlechtszugehörigkeit in Zusammenhang stehen, wurden in der Behandlung und Beratung weder berücksichtigt, noch hinsichtlich der Frage angemessener Unterstützung und Hilfen differenziert. Zentrale Lebenserfahrungen von Frauen blieben unberücksichtigt und ihre Verarbeitungs- und Entwicklungsmöglichkeiten somit begrenzt.

Im Jahr 2003 wurde die Umsetzung von Gender Mainstreaming im „Aktionsplan Drogen und Sucht“ der Bundesregierung (Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung 2003) als Ziel der Sucht- und Drogenpolitik formuliert und auch das „Landeskonzept gegen Sucht Nordrhein-Westfalen” (Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter des Landes Nordrhein-Westfalen 2012) setzte einen Schwerpunkt auf die stärkere Verankerung und Weiterentwicklung einer geschlechtergerechten Suchtprävention und -hilfe.

Gender Mainstreaming und Geschlechtergerechtigkeit in der Sucht- und Drogenhilfe machen es notwendig, die Bedeutung des Faktors Geschlecht einzubeziehen und Präventions- und Hilfeangebote entsprechend der daraus resultierenden unterschiedlichen Bedürfnisse zu gestalten. In diesem Zusammenhang sind die differenten Lebenslagen von Frauen und Männern, Mädchen und Jungen, bei sämtlichen Maßnahmen und Vorhaben ebenso zu berücksichtigen, wie deren geschlechtsbezogen unterschiedliche Auswirkungen. Auf dieser Grundlage ist das Vorgehen schließlich auf den verschiedenen Ebenen (Struktur und Organisation, Personal, Konzepte, Qualitätssicherung) zu steuern.

In NRW haben sich seit 1986 Mitarbeiterinnen der ambulanten und stationären Suchthilfe zunehmend in regionalen Arbeitskreisen „Frauen und Sucht“ organisiert. Im Jahr 2009 wurde auf Initiative dieser regional tätigen Arbeitskreise das „NRW-Netzwerk Frauen und Sucht“ als landesweites Forum gegründet. Somit wird ermöglicht, NRW-weit Informationen auszutauschen, von den jeweiligen Erfahrungen zu profitieren, Kompetenzen zu bündeln insgesamt die Vernetzung und Weiterentwicklung der mädchen- und frauenbezogenen Arbeit in NRW in der Sucht- und Drogenhilfe sowie die Gesundheitsversorgung zu fördern und zu festigen.

Die Weiterentwicklung der geschlechtsbezogenen Suchthilfe mit Mädchen und Frauen ist ein stetiger Prozess, der sowohl eine theoretische Auseinandersetzung mit dem aktuellen Wissens- und Forschungsstand beinhaltet, als auch die Reflexion der konkreten Praxiserfahrungen.

Das „NRW-Netzwerk Frauen und Sucht“ trifft sich in der Regel zwei Mal jährlich in Essen. Nähere Informationen: https://www.belladonna-essen.de/nrw-netzwerk-frauen-und-sucht/

 

Quellenangaben

Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung (2003):Aktionsplan Drogen und Sucht. Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung: Berlin

Merfert-Diete, Christa; Soltau, Roswitha (Hrsg.) 1984: Frauen und Sucht. Die alltägliche Verstrickung in Anhängigkeit, Reinbeck bei Hamburg, Rowolt

Tödte, Martina; Bernard, Christiane (Hrsg.): 2016: Frauensuchtarbeit in Deutschland. Eine Bestandsaufnahme; transcript Verlag, Bielefeld 2016