Vergangene, traumatische Erlebnisse erhöhen bei ihnen die Wahrscheinlichkeit für problematischen Substanzkonsum, zum Beispiel still und leise in Form einer Medikamenteneinnahme. Zudem haben Frauen in Mutterrollen eine Schlüsselfunktion in der Familie, über sie können hilfreiche Informationen an andere Familienmitglieder gelangen. Die Zugangswege, um diese Frauen für problematischen Substanzkonsum zu sensibilisieren, sind regional sehr unterschiedlich, ebenso wie die Kenntnisse der Frauen über das lokale Hilfesystem. Insgesamt lässt sich jedoch festhalten, dass die Frauen und Mädchen zwar vereinzelt in der Suchthilfe ankommen, insgesamt jedoch schlecht erreicht werden. Ziel muss sein, dass die Hilfen dort ankommen, wo die betroffenen Frauen und Mädchen sowieso schon sind!
Für die Suchthilfe sind insbesondere die evidenzbasierten Zusammenhänge zwischen Traumata und Substanzkonsum von Bedeutung: Die spezifische Situation geflüchteter Mädchen und Frauen, insbesondere die geschlechtsbezogenen Traumatisierungen (Save The Children e.V 2019, Schouler-Olcak/Kurmeyer 2017) ebenso wie die spezifischen Zugangsbarrieren zum Versorgungs- und Hilfesystem, gilt es für die Suchtprävention und Suchthilfe zu berücksichtigen. Im Beschluss der 90. GMK (Gesundheitsministerkonferenz) heißt es hierzu:
„In der Suchtprävention und Suchthilfe müssen für die Zielgruppe[n] der geflüchteten Menschen unter Berücksichtigung von kulturellem Hintergrund, Alter und Geschlecht
• geeignete und lebensweltorientierte Maßnahmen der Suchtprävention,
• bedarfsgerechte Beratungsangebote und
• erforderlichenfalls passgenaue Maßnahmen der Suchthilfe
geschaffen bzw. weiterentwickelt werden.“ (Beschluss der 90. GMK 2017, Top 5.1).
Aus der Statistik und dem Erfahrungsbericht des Münchner Trägers Condrobs, der seit vielen Jahren eine Vorreiterrolle in der interkulturellen Suchthilfe innehat, ergeben sich erste wichtige Erkenntnisse für die Arbeit mit geflüchteten Menschen. Der Träger verzeichnet 2016 im Vergleich zum Vorjahr einen Zuwachs von 60 % an Migrantinnen und Migranten (Egartner/Zornig-Jelen 2018: 7). Wichtig für den Zugang zur Suchthilfe ist es, Sprachbarrieren zu überwinden – durch Beratung mit Dolmetscherinnen und Dolmetschern, aber auch durch Vertrauensaufbau über einen freundlichen Empfang und ausreichend Zeit für die Beratung. Darüber hinaus sei ein interkulturelles Arbeiten der Fachkräfte sowie Weiterbildungen zu Asyl- und Migrationsfragen wichtig. Im Beratungsprozess muss die Sicherung des Aufenthalts und das Ankommen in Deutschland im Fokus stehen, da das Konsumverhalten in der Regel eng mit diesen Themen verknüpft ist (Egartner/Zornig-Jelen 2018: 15ff). Erkenntnisse zu geflüchteten Frauen mit Substanzkonsum ergeben sich aus dem Bericht kaum. Lediglich bei den Substanzen wird darauf hingewiesen, dass bei Frauen „Medikamente häufig eine Rolle“ (ebd.: 6) spielen.
Vereinzelt finden sich in der Literatur empirische Daten zur Gesundheit von geflüchteten Frauen allgemein, insbesondere seit der „Study on Female Refugees“ 2018, bei der 639 geflüchtete Frauen in Deutschland zu ihrer Lebenssituation befragt wurden. Dabei zeigten sich ausgeprägte psychische Beschwerden: Angstgefühle, Nervosität, Neigung zum Weinen, Schlafschwierigkeiten, Traurigkeit, Einsamkeitsgefühle, Selbstmordgedanken. Die Neigung zum Weinen wurde beispielsweise von 87 % bejaht, Schlafschwierigkeiten von 69 %. Selbstmordgedanken machen sich immerhin 13 % der befragten Frauen (Schouler-Olcak/Kurmeyer 2017: 29). Beim Verhalten in Bezug auf gesundheitliche Beschwerden zeigt ein großer Teil der Frauen eine passive Reaktion, wie z. B. weinen, schlafen und/oder sich in die Isolation zurückziehen. In Bezug auf seelische Beschwerden gaben 40 % eine solche Reaktion an, in Bezug auf körperliche Beschwerden sogar 55 %. Nur 8 % der Frauen erhalten psychologische Hilfe. In den qualitativen Gruppengesprächen mit den geflüchteten Frauen wird als Belastung für das Leben in Deutschland unter anderem das Vorhandensein eines Drogenangebots in den Gemeinschaftsunterkünften erwähnt (Schouler-Olcak/Kurmeyer 2017: 32 ff.).
Erkenntnisse dazu, inwiefern geflüchtete Mädchen und Frauen selbst Substanzen konsumieren oder als Angehörige davon betroffen sind, fehlen aktuell. Eine verbesserte Datenlage ist jedoch die unabdingbare Voraussetzung für die Planung und Umsetzung einer bedarfsgerechten, geschlechter-, kultur- und zielgruppensensiblen Versorgung geflüchteter Menschen. Hierauf weist auch die GMK 2017 ausdrücklich hin, indem „mittels geeigneter Studien auf eine Verbesserung der Datenlage über Suchterkrankungen geflüchteter Menschen hinzuwirken [ist]“ (ebd.).
Die Fachstelle Frauen und Familie BELLA DONNA der Suchtkooperation NRW fördert die fachliche Auseinandersetzung und den Austausch zum Thema im Rahmen interdisziplinärer und überregionaler Nerzwerke, Fachgespräche, Projekte:
- Mitglied im Fachbeirat des vom LWL in Münster durchgeführten Projekts „LWL Suchtprävention für und mit Menschen mit Fluchthintergrund in NRW“
- Überregionaler Fachaustausch „Suchtprävention und -hilfe an die (geflüchtete/migrierte) Frau bringen – Erkenntnisse und Möglichkeiten aus Stadtstaat und Flächenland“ in Zusammenarbeit mit der Fachstelle für Suchtprävention Berlin.
- Projekt „Geflüchtete Mädchen und Frauen mit Bezug zu Substanzkonsum im Hilfesystem in NRW – Bestandsaufnahme und Bedarfserhebung“: Das Projekt wurde vom MAGS NRW gefördert, in Zusammenarbeit der Landeskoordinierungsstelle Frauen und Sucht NRW BELLA DONNA mit dem Forschungsinstituts tifs e.V. durchgeführt und maßgeblich umgesetzt von Bettina Staudenmeyer, tifs e.V.