Themen

Geschlechtervielfalt in der Suchthilfe

Ausgangslage queere Menschen und Substanzkonsum

Für den deutschsprachigen Raum liegen kaum Forschungsergebnisse zu den gesundheitlichen Auswirkungen von erlebter Beschämung, Diskriminierung, Rassismus, Homo- und Transfeindlichkeit vor. Hinweise gibt es jedoch durch eine Vielzahl anglo-amerikanischer Studien, in denen gezeigt wird, dass und wie sich strukturelle gesellschaftliche Stigmatisierung auf die Gesundheitssituation und die Sterberate von Menschen auswirkt, die zu so genannten sexuellen Minderheiten zählen.

Gisela Wolf (kein Pronomen) (2017) beleuchtet in den Analysen den Zusammenhang von problematischem Substanzgebrauch in queeren Communitys mit seinen gesundheitsbelastenden Auswirkungen und dem Leben in einer diskriminierenden Gesellschaft. Gisela Wolf verweist auf eine anglo-amerikanische Studie, die anhand eines so genannten minority stress modells die Zusammenhänge zwischen Substanzgebrauch und Stigmatisierungserfahrungen aufgrund diverser sexueller Orientierungen systematisiert und empirisch belegt: „Die chronischen Belastungen durch Marginalisierung, Diskriminierung und heterosexistisch begründete Gewalt machen bei Lesben und Schwulen ein sorgsam überlegtes Identitätsmanagement notwendig.“ (Wolf 2017: 33) Hinzu kommen gesundheitliche Beeinträchtigungen durch direkte körperliche, emotionale und soziale Auswirkungen von Gewalt und Deprivilegierung. Letztere können in Extremfällen zu einer Selbstabwertung führen: „Die sogenannte internalisierte Homo- oder Transnegativität stellt eine solche Innenwendung der erfahrenen Ausgrenzung, hier aufgrund der eigenen homosexuellen Orientierung oder Transgeschlechtlichkeit, dar. […] Substanzgebrauch kann in diesem Zusammenhang als körpernahe Möglichkeit begriffen werden, um die aus Marginalisierungs- und Gewalterfahrungen resultierenden negativen Gefühle zu bewältigen.“ (Wolf 2017: 34-36)


Aktivitäten der Landesfachstelle Frauen und Familie BELLA DONNA zum Thema

Auf der Jahresversammlung des „Bundesverbands der feministischen Suchthilfeeinrichtungen in Deutschland“ 2019 in Essen wurde die Frage diskutiert, ob und wie feministische Suchthilfeeinrichtungen ihre Angebote für weiblich-queere Menschen öffnen sollen und können. Denn klar ist: Die betroffenen Menschen sind mit ihren individuellen Unterstützungsbedarfen in der Suchthilfe angekommen, gleichzeitig fehlt es dieser in der Regel an bedarfsgerechten Angeboten. Innerhalb der feministischen Suchthilfeeinrichtungen besteht Konsens darüber, dass das Angebot eines Schutzraums für heteronormativ sozialisierte Cis-Frauen erhalten bleiben muss und eine hohe Wichtigkeit hat. Gleichzeitig wird gesehen, dass beispielsweise auch Trans-Frauen Schutzräume brauchen. Einrichtungen, die bereits Erfahrungen mit der Integration weiblich-queerer Menschen in bestehende Angebote haben, favorisieren den Weg von Dialog und Transparenz: Klient*innen werden in Entscheidungsprozesse einbezogen, wenn es um die Frage geht, ob und inwieweit bestehende Angebote für diverse Menschen mit einer weiblichen Identität geöffnet werden.

 

Seit Januar 2024 erweitert die Landesfachstelle ihr Themengebiet und widmet sich der Frage "Wie kann die Suchthilfe sich den Bedarfen aller geschlechtlichen Identitäten annähern und ihr Handlungsspektrum erweitern?".

 

Die Fachstelle Frauen und Familie BELLA DONNA wird in den kommenden Jahren ihre fachliche Unterstützung einer geschlechtersensiblen und Geschlechtervielfalt berücksichtigenden Suchthilfe intensivieren. Sie initiiert und moderiert ab 2024 eine Arbeitsgruppe Geschlechtervielfalt. In der Arbeitsgruppe geht es im gemeinsamen Dialog mit Fachkräften der Sucht- und Drogenhilfe, sowie angrenzenden Arbeitsbereichen inklusive der Erfahrungen und Lebenswelten der queeren Community mit Suchtgeschichte in NRW um die Klärung folgender Fragen:

1. welche Bedeutung Geschlechtervielfalt in der Suchthilfe hat und welche Kenntnisse erforderlich sind, um dem Thema im Suchthilfesystem angemessen zu begegnen,

2. wie sich die Suchthilfe den Bedarfen aller geschlichtlichen Identitäten annähern und ihr Handlungsspektrum erweitern kann und

3. wie Prozesse zur Haltungs- und Entscheidungsfindung in Suchthilfeeinrichtungen konstruktiv angestoßen und umgesetzt werden können.

 

Quellenangaben

Wolf, Gisela (2017): Substanzgebrauch bei Queers. Dauerthema und Tabu. Hirschfeld-Lectures 12, Wallstein-Verlag

Interview: " In der Szene wird zu wenig über Drogenkonsum diskutiert"